(26.07.2021/München.) Nach einer dreimonatigen Programmier-Challenge des Quantum Applications & Research Labs (kurz QAR-Lab) mit fünf Use Cases namhafter Konzerne auf je vier Quantencomputern endet eine der bislang umfangreichsten europäischen Erprobungen der weltweiten existierenden Quantentechnologie.
Unter der Leitung von Prof. Dr. Claudia Linnhoff-Popien und ihrem Forscher-Team des QAR-Labs haben 27 Studierende reale Anwendungsfälle von den Unternehmen BASF, BMW, SAP, Siemens und Trumpf auf Quantencomputern berechnet. Jeder Use Case wurde auf vier Rechnern programmiert, um das jeweils optimale Ergebnis zu erzielen. Genutzt wurden die Rechner:
In der dreistündigen Abschlusspräsentation stellten die Teilnehmer ihre Ergebnisse vor, die sie in den 20 Konstellationen erhalten hatten. Die geschlossene Veranstaltung hatte 50 Teilnehmer.
Lehrstuhl-Inhaberin Claudia Linnhoff-Popien berichtete über die komplexen Rahmenbedingungen, die das QAR-Lab im Vorfeld zu lösen hatte, um den LMU-Studierenden die Nutzung verschiedener echter Quantencomputer zu ermöglichen. Mit Kosten von rund 41.000 Euro, einem langen juristischen Vorlauf sowie einer herausfordernden Einarbeitung seitens der wissenschaftlichen Betreuer in die Nutzung dieser Rechner sei dies das aufwändigste Praktikum in der Geschichte des Lehrstuhls gewesen. Linnhoff-Popien freute sich: „Niemand in Deutschland bietet Studenten solche Möglichkeiten, Quantencomputing zu erfahren. Wir sind weltweit ganz vorne dran – darauf bin ich sehr stolz.“
Das im Jahr 2016 gegründete QAR-Lab verfolgt das Ziel, Quantencomputing einem breiten Nutzerkreis in Forschung und Wirtschaft niedrigschwellig zugänglich zu machen. Es widmet sich fortlaufend neuen Projekten, die eine Brücke zwischen Wissenschaft und Wirtschaft bilden.
Im Laufe des 12 Wochen langen Projekts „Quantum Computing Optimization Challenge“ gewannen die Forscher unterschiedliche Einsichten, wobei besonders Wert auf die Erkenntnisse zu Performanz, Rauschen und Nutzererfahrung im Zugriff auf die genutzte Quantencomputing-Hardware gelegt wurde. Es fand dabei ein detaillierter Vergleich der Ergebnisse in Abhängigkeit des Use Cases statt und es wurden Prognosen zur Entwicklung der jeweiligen Systeme erstellt. Mit den vier genutzten Rechnern wurde eine breite Abdeckung der aktuell verfügbaren Quanten-Hardware, sogar architekturübergreifend mit Gate-Modell- und Annealing-basierten Rechnern, erreicht.
Erste Erkenntnisse der Programmier-Challenge waren: Bereits heute können kleine Instanzen von realen Anwendungsfällen der Industrie mit Hilfe von Quantencomputern gelöst werden. Die Qualität der erhaltenen Lösungen ist dabei jedoch von zahlreichen Faktoren abhängig. Sämtliche Lösungsverfahren für Quantencomputer besitzen eine Vielzahl an Parametern, deren Einstellung großen Einfluss auf die Lösungsfindung hat. Das Auffinden der idealen Parameterwerte ist jedoch auf Grund fehlender Erfahrungswerte zeitaufwändig und kostenintensiv. Die Antwortzeiten unterliegen ebenfalls großen Schwankungen. Je nach Tageszeit variiert die Auslastung der Maschinen und damit die Antwortzeit der Quantencomputer. Bis man eine Antwort von einem Quantencomputer erhält, kann eine Zeitspanne im Bereich von wenigen Sekunden bis hin zu zahlreichen Stunden vergehen.
Durch fehlende Standardisierung im Hardwarezugriff mussten sich die verschiedenen Gruppen in die jeweils eigenen Software Development Kits (SDK) der verschiedenen Quantencomputer einarbeiten. Das hatte zur Folge, dass die an verschiedenen Stellen auftretenden Probleme individuell gelöst werden mussten. Die letzte Erkenntnis liefert einen Ausgangspunkt für eigene Grundlagenforschung im Bereich der Standardisierung von Zugriffstechnologien bzw. für Softwaretools, welche eine gewisse Komplexität beim Lösen von Use Cases mit Quantencomputern abstrahiert und somit den Lösungsfindungsprozess vereinfacht.
Experten des QAR-Labs zeigen sich optimistisch, dass die Wirtschaft in fünf bis zehn Jahren einen Quantenvorteil haben wird. Dann werden Quantencomputer Aufgaben lösen, die bei herkömmlichen Rechnern völlig unmöglich sind oder können dies immens schneller und für eine größere Komplexität.
Wenn in einigen Jahren die Quantentechnologie die nötige Leistungsfähigkeit hat, um reale Industrieprobleme zu lösen, stehen vom QAR-Lab entwickelte Werkzeuge und Algorithmen sowie praktische ausgebildete Experten schon bereit. Sie werden der Wirtschaft mit ihrem Know-how die sofortige Nutzung des Quantencomputings ermöglichen. Daneben leistet das QAR-Lab durch solch praxisrelevante Veranstaltungen einen immensen Beitrag in der Ausbildung zukünftiger Quantencomputing-Experten.