(06.05.2021/München) Das Quantum Applications & Research Laboratory (QAR-Lab) am Institut für Informatik der LMU treibt das Thema Quantencomputing weiter voran und bringt verstärkt Forschungswissen in die Anwendung. Am 06. Mai eröffnete die Informatik Professorin Dr. Claudia Linnhoff-Popien als Leiterin des QAR-Labs die „Quantum Computing Optimization Challenge“ als zweimonatiges Projekt von LMU und Wirtschaftspartnern, das Anwendungsfälle aus der Industrie auf echten Quantencomputern berechnen wird.
Das im Jahr 2016 gegründete QAR-Lab verfolgt das ambitionierte Ziel, Quantencomputing (QC) einem breiten Nutzerkreis in Forschung und Wirtschaft zugänglich zu machen. Fünf große Industrie-Partner stellten ihre Use Cases vor, um verschiedene Optimierungsszenarien auf Quantencomputern in den kommenden zehn Wochen berechnen zu lassen. Insgesamt hatten 288 Interessierte an dem virtuellen Kick-Off teilgenommen.
Gastredner der Auftaktveranstaltung zur „Challenge“ war Dr. Markus Hoffmann von Google Quantum AI, einem Bereich von Google Research. In den USA baut Google eine eigene Hardware, die über den Cloud Service zugänglich ist. Hoffmann erläuterte, wo Quantencomputing für ein abstraktes Problem schneller sein kann als ein klassischer Computer. Dabei veranschaulicht er den Durchbruch vom Oktober 2019, als das US-Unternehmen einen Computer geschaffen hatte, der ein Sampling Problem in nur 200 Sekunden gerechnet hatte, für den ein Supercomputer 10.000 Jahre benötigt hätte.
Anschließend stellten die Experten der Firmen BASF, BMW, SAP, Siemens und TRUMPF ihre Use Cases vor. 27 Studierende des Instituts für Informatik werden die Use Cases von Mai bis Juni auf vier Quantencomputern programmieren, um herauszufinden, was die Quantencomputer bereits rechnen können, wie komplex Aufgabenstellungen sein können und welchen Bedarf an QBits eine Firma für ihren Use Case braucht.
Von den Unternehmen sprachen über ihre Uses Cases:
Claudia Linnhoff-Popien war begeistert: „Die zu programmierenden 20 Quantencomputing-Programme werden in der zehnwöchigen Challenge auf vier Maschinen weltweit ausgeführt und die Ergebnisse verglichen. Wir freuen uns sehr über unsere Partnerfirmen und auf das gemeinsame Projekt: Eine so umfangreiche Evaluierung realer Anwendungen auf vier Quantencomputern ist deutschlandweit einmalig, wenn nicht gar weltweit.“
Use Cases der Unternehmen fokussieren sich auf Optimierungsszenarien
Die Aufgabe bei BASF im Bereich Laborforschung soll berechnen, wie klassische Experimente im Labor durch Änderung der Abläufe schneller durchgeführt werden können. Ziel ist es, zu kombinieren, in welchen Reihenfolgen Roboter welche Reagenzgläser an welche Stationen bringen müssen, um das schnellste Ergebnis zu erzielen. Ein einfacher Case, der für einen klassischen Computer, der beispielsweise 100.000 Kombinationsmöglichkeiten berechnen müsste, zu komplex wird.
In einer Aufgabenstellung von BWM werden Kombinationen von Testbauteilen optimiert. Dabei sollen Bauteile, die in Testfahrzeugen miteinander kombiniert werden, bestimmten Klauseln genügen und so möglichst wenige Fahrzeuge zum Test einer vorgegebenen Menge von Teilen erforderlich sein. Denn bei einer verbauten Kabellänge von 10.000 Metern, 100 Millionen Quellcode Zeilen pro Auto und zehn hoch 60 möglichen Kombinationen wird deutlich, wie komplex Sonderkonfigurationen bei PKW Bestellungen sein können.
SAP stellte mit dem „Bay Truck“ im Bereich Beverage Delivery einen Use Case vor, der die optimalen Versorgungslieferungen von Getränken in einem Auslieferungsgebiet berechnen sollte. Etwa wenn sich Parameter wie die Lieferwege ändern. Auch hier wurde deutlich, wie komplex eine Tageslieferung für einen Getränkekonzern werden kann, wenn die Optimierung 6.000 LKWs pro Tag betrifft.
Siemens stellte einen Use Case im Bereich „Scheduling“ vor. Berechnet werden soll, wie bestimmte Tasks nacheinander abgearbeitet werden müssen, um alle Deadlines zu erreichen. Die Variablen dabei: kurzfristige Task-Änderungen, begrenzte Ressourcen, neue Abläufe und neue Deadlines der Unteraufgaben. Durch die kurzfristigen Änderungen mehrerer Parameter lassen sich derartige Scheduling-Berechnungen auf klassischen Computern nicht ausreichend schnell durchführen.
Der Use Case der Firma Trumpf betrachtet Scheduling-Probleme in der Fertigung beim Biegen, Schweißen und Lackieren von Blechen. Ziel ist es, Ergebnisse zu optimieren, wenn es etwa zu Verspätungen in Produktionsabläufen kommt.
Vier Lösungen für ein Problem: Challenge findet jeweils bestes Ergebnis
In der Challenge wird jedes Problem auf vier Rechnern mit zwei verschiedenen Rechner-Architekturen (Gate und Annealing Modell) berechnet und programmiert: damit erhält jedes Problem vier Lösungen. Am Ende werden die Leistungsfähigkeit der Rechner und die Qualität der Lösungen verglichen, um ein optimales Ergebnis zu erhalten.
Dazu Prof. Dr. Linnhoff-Popien: „Wir wollen herausfinden, welche Architektur welches Ergebnis berechnet. Dazu müssen wir zuerst Vorgaben machen. Z.B. soll bei der Fertigung von Blechteilen das Ziel erreicht werden, Teile so schnell wie möglich oder parallel zu fertigen und den Prozess zu optimieren. Spannend ist für uns, welche Architektur wie stabil zu welchem Ergebnis führt, wie skalierbar die Aufgabenstellungen heute bereits auf den Quantencomputern auszuführen sind und welcher Bedarf an QBits für den jeweiligen Use Case erforderlich ist, um einen Quantenvorteil zu erreichen.“
Die Challenge dient der Förderung des Wissenschaft-Praxis-Transfers: Nach Abschluss werden die Ergebnisse intern den Industriepartnern vorgestellt, bevor geplant ist, die Ergebnisse als wissenschaftliche Publikationen öffentlich zugänglich zu machen.
QAR-Lab des Informatik-Lehrstuhls arbeitet seit Jahren praxisorientiert
Das QAR-Lab der LMU steht unter dem Motto „Become Quantum ready“ und bringt seit Jahren erste Use Cases von Unternehmen auf die Rechner der Zukunft. Claudia Linnhoff-Popien erläutert: „In unserem 2016 gegründeten QAR-Lab haben wir im Laufe der Jahre ein enormes Know How aufgebaut, um die Technologie des Quantencomputings in der Praxis anzuwenden. Zahlreiche namhafte Konzerne profitieren bereits von unserem Wissen.“
Das QAR-Lab ist für Studierende der LMU bisher eine einzigartige Anlaufstelle für praxisorientierte Veranstaltungen, in denen – über die Cloud – auf weltweit vier Quantencomputern gerechnet werden kann. Die universitäre Lehre seit 2018 darauf ausgerichtet, jenseits der reinen Theorie Quantencomputing praxisorientiert zu erproben.
Als Gründungsmitglied des europaweit einzigartigen Leuchtturmprojekts PlanQK („Plattform und Ökosystem für quantenunterstützte KI“) leistet das QAR- Lab auch Pionierarbeit dabei, die Quantencomputing-Technologie auf dem Gebiet der Künstlichen Intelligenz zu nutzen. Die Experten des QAR-Labs arbeiten an der Umsetzung von quantenunterstützten KI-Algorithmen für industrielle Use Cases im Rahmen von Forschungskooperationen mit.
Optimieren und schneller werden: Immer mehr Unternehmen starten Pilotprojekte mit Quantencomputing
Quantencomputer, basierend auf Quantentechnologie (sog. Q-Bits), können komplexe Rechenoperationen exponentiell schneller als bisherige Computer lösen und damit einen sogenannten Quanten-Vorteil erzielen, der sich auch in extremer Geschwindigkeit komplexer Berechnungen ausdrücken wird. Schätzungen besagen, dass die Hardware in rund fünf bis acht Jahren Marktreife erlangt. Innovationsgetriebene Unternehmen haben den Nutzen des Quantencomputings längst erkannt. So starten sie starten in den IT- oder Forschungsabteilungen ihre ersten Pilotprojekte, um rechtzeitig die Anwendung der neuen Technologie IT-seitig zu beherrschen und die Technologie kommerziell nutzbar zu machen.
Wichtig ist allen die Schnelligkeit: Vorteile werden etwa bei der Optimierung von Abläufen, der Berechnung von komplexen Prozessen oder der Steigerung von Effizienz und Schnelligkeit erwartet. In Zukunft sollen Probleme oder Szenarien innerhalb von Stunden statt von Monaten, von Minuten statt Tagen berechnet werden können. Den Anwendungsfeldern von Quantencomputing – ob Pharmabranche, Finanzsektor, Logistik oder Automobilbranche – sind kaum Grenzen gesetzt. Insbesondere im Bereich der Logistik und Optimierung sind den Anwendungen kaum Grenzen gesetzt, egal ob es beispielsweise um den optimalen Ort von Objekten geht, die optimale Reihenfolge von Abläufen, das optimale Aufteilen von Ressourcen oder die beste Kombination von Wirkstoffen.
Zwei Modelle von Quantencomputern: Gate Model und Quantum Annealing
Die Bandbreite an Möglichkeiten ist groß, mit Quantencomputern lassen sich verschiedensten Berechnungsvorgänge durchführen. Da die Entwicklung der Hardware noch nicht ausgereift ist, lässt sich derzeit nicht abschließend beurteilen, inwiefern ein Modell besser als das andere ist. Die Use Cases werden auf vier NISQ-Rechnern der Hardware-Hersteller D-Wave Systems, Fujitsu, IBM und Rigetti und dabei auf zwei verschiedenen Rechner Architekturen, den sogenannten Gate und Annealing Modellen, bearbeitet.
Das Quantum Gate Model ist das Quantenpendant zum klassischen Rechner und ist im Allgemeinen für verschiedene Problemstellungen einsetzbar. Eines der vielversprechendsten Anwendungen für das Quantum Gate Model ist die Materialsimulation. Aktuelle Quantum Gate Models umfassen um die 50 Qubits.
Quantum Annealer hingegen sind speziell für das Lösen von Optimierungsproblemen zugeschnitten.
Die Anzahl an Qubits, die bspw. D-Wave Systems Quantum Annealer umfassen, sind um das 10-fache größer als die der Gate Models (ca. 5000 Qubits).
Die Architekturen sind jedoch aufgrund der unterschiedlichen Ausrichtung und Anwendungsfelder nur bedingt vergleichbar. Eine Evaluation in Bezug auf die Anwendbarkeit verschiedener Use Cases auf die unterschiedlichen Architekturen wird in der „QC Optimization Challenge“ erarbeitet.